Die per­sön­li­che Haf­tung der Betrei­ber von Natur­bä­dern

Über den Autor: Rechts­an­walt Dr. Georg Krafft berät vor allem Kom­mu­nen seit Jah­ren im Zusam­men­hang mit Ver­kehrs­si­che­rungs­pflich­ten. Er ist außer­dem stän­di­ger Dozent an der Deut­schen Rich­ter­aka­de­mie zum The­ma Amts­haf­tung – Ver­kehrs­si­che­rungs­pflich­ten und Autor des vom Baye­ri­schen Staats­mi­nis­te­ri­ums der Jus­tiz her­aus­ge­ge­be­nen Leit­fa­dens „Ver­kehrs­si­che­rungs­pflicht an Bade­ge­wäs­sern“. Rechts­an­walt Dr. Krafft hat zahl­rei­che Sicher­heits­kon­zep­te für Natur­bä­der in ganz Bay­ern erstellt (mehr erfah­ren unter: www.KommRisk.de).

Vor­be­mer­kung

Der Fall wird den meis­ten noch prä­sent sein. Ein Bür­ger­meis­ter wur­de wegen fahr­läs­si­ger Tötung in drei Fäl­len wegen Ver­let­zung der Ver­kehrs­si­che­rungs­pflich­ten an einem kom­mu­na­len Bade­ge­wäs­ser in zwei Instan­zen ver­ur­teilt. Erst in der letz­ten Instanz erfolg­te ein Frei­spruch, aller­dings ein Frei­spruch „zwei­ter Klas­se“. Denn dem Bür­ger­meis­ter konn­te nach Ansicht des Revi­si­ons­ge­richts nicht nach­ge­wie­sen wer­den, dass die gebo­te­nen Gefahr­ab­wen­dungs­maß­nah­men den tra­gi­schen Unfall ver­hin­dert hät­ten („in dubio pro reo“). Aus­drück­lich fest­ge­stellt hat das Revi­si­ons­ge­richt aber, dass dem Bür­ger­meis­ter ein Ver­stoß gegen Ver­kehrs­si­che­rungs­pflich­ten anzu­las­ten war.

Der Unfall datiert aus dem Jahr 2016, das letzt­in­stanz­li­che Urteil vom Novem­ber 2023. Bedenkt man, dass die Letzt­ent­schei­dung auch hät­te anders aus­fal­len kön­nen (sie­he Ver­ur­tei­lun­gen in den Vor­in­stan­zen) und ange­sichts der Ver­fah­rens­dau­er van ca. sie­ben Jah­ren, bedeu­tet die­ser „Frei­spruch“ nicht, dass sich Betrei­ber von Bade­mög­lich­kei­ten nun­mehr beru­higt zurück­leh­nen kön­nen.

Das gilt selbst­ver­ständ­lich auch für „Natur­bä­der“, also Bäder, die über eine gewis­sen Bade­infra­struk­tur ver­fü­gen und das Was­ser bio­lo­gisch auf­be­rei­tet wird.

Die Risi­ken sind gleich­blei­bend hoch.

Die Bevöl­ke­rung hat seit der Coro­na-Epi­de­mie die ört­li­chen Bade­mög­lich­kei­ten in Natur­bä­dern ver­mehrt „ent­deckt“. Ver­stärkt wird der Nah­erho­lungs­druck durch die wirt­schaft­li­che Lage; der Urlaub im Inland oder „zuhau­se“ wird wie­der attrak­tiv. Auch ange­sichts der Hit­ze­pe­ri­oden in Deutsch­land gilt frei nach Goe­the „war­um in die Fer­ne schwei­fen, wenn das Gute liegt so nah“.

Eine höhe­re Nut­zer­fre­quenz führt aber zwangs­läu­fig zu einem höhe­ren Unfall­ri­si­ko, vor allem wenn man bedenkt, dass immer weni­ger Men­schen schwim­men kön­nen. Dass par­al­lel dazu die Bereit­schaft sinkt, Unfäl­le als Unglück hin­zu­neh­men, ist Spie­gel­bild unse­rer Gesell­schaft. In die­sem Span­nungs­feld ste­hen die Betrei­ber von „Natur­bä­dern“, die aber begreif­li­cher­wei­se wenig geneigt sind, sich einem per­sön­li­chen Haf­tungs­ri­si­ko aus­zu­set­zen.

Das Risi­ko der per­sön­li­chen Inan­spruch­nah­me

Für (Bade) Unfäl­le in „Natur­bä­dern“ wird dann gehaf­tet, wenn der Unfall auf eine schuld­haf­te und kau­sa­le Ver­let­zung einer Ver­kehrs­si­che­rungs­pflicht, die der Betrei­ber zu erfül­len hat, zurück­zu­füh­ren ist. Unter­schie­den wer­den muss dabei zwi­schen der zivil­recht­li­chen und der straf­recht­li­chen Haf­tung:

Die zivil­recht­li­che Haf­tung der Betrei­ber

Rechts­fol­ge der zivil­recht­li­chen Haf­tung ist die finan­zi­el­le Kom­pen­sa­ti­on der Schä­den (meist Zah­lung eines Schmer­zens­gel­des). Zur Zah­lung gegen­über dem Geschä­dig­ten (oder den Erben im Todes­fall) ver­pflich­tet ist in der Regel allein der Betrei­ber des Natur­ba­des, und zwar in der Rechts­form, in der das Natur­bad betrie­ben wird (Kom­mu­ne, Ver­ein, GmbH etc.).

Eine soge­nann­te Durch­griffs­haf­tung auf die Reprä­sen­tan­ten des Betrei­bers (Bür­ger­meis­ter, Ver­eins­vor­stän­de, Geschäfts­füh­rer etc.) ist nur in Aus­nah­me­fäl­len über­haupt denk­bar (z.B. Vor­satz) und kommt prak­tisch nicht vor. Der Betrei­ber ist abge­si­chert über den Ver­si­che­rungs­schutz der (kom­mu­na­len) Haft­pflicht­ver­si­che­rung. Der Deckungs­schutz der Ver­si­che­rung besteht dar­in, nicht begrün­de­te Haft­pflicht­an­sprü­che auf ihre Kos­ten abzu­weh­ren und den Betrei­ber von den Zah­lungs­ver­pflich­tun­gen aus begrün­de­ten Haft­pflicht­an­sprü­chen frei­zu­stel­len. Finan­zi­el­le Belas­tun­gen des Betrei­bers ent­ste­hen – bis auf eine mög­li­che Selbst­be­tei­li­gung – nicht.

Der Ver­si­che­rungs­schutz ent­fällt nur in Aus­nah­me­fäl­len, z.B. wenn der Betrei­ber weiß und bil­li­gend in Kauf nimmt, dass er gegen sei­ne Pflicht zur Ver­kehrs­si­che­rung ver­stößt und sich des­halb ein Unfall ereig­net. In der Regel wird aber dem Betrei­ber aber nur der Vor­wurf der Fahr­läs­sig­keit zu machen sein.

Die gute Nach­richt ist also, dass das Risi­ko einer per­sön­li­chen zivil­recht­li­chen Haf­tung der Reprä­sen­tan­ten des Betrei­bers, das nicht von der Haft­pflicht­ver­si­che­rung gedeckt ist, „gegen Null“ geht. Aber Vor­sicht: Das setzt vor­aus, dass eine Haft­pflicht­ver­si­che­rung für den Betrieb des Natur­ba­des besteht und die Ver­si­che­rungs­sum­me aus­reicht!

Die per­sön­li­che straf­recht­li­che Ver­ant­wort­lich­keit von Repräsentanten/Entscheidungsträger des Betrei­bers

Dia­me­tral gegen­sätz­lich lie­gen die Din­ge aber, was die Straf­bar­keit von Reprä­sen­tan­ten des Betrei­bers für die Ver­let­zung von Ver­kehrs­si­che­rungs­pflich­ten anbe­langt.

Das Risi­ko einer straf­recht­li­chen Ver­ur­tei­lung kann und wird natür­lich nicht von einer Ver­si­che­rung abge­deckt. Sie trifft die Ent­schei­dungs­trä­ger beim Betrei­ber per­sön­lich, wenn ein Orga­ni­sa­ti­ons­de­fi­zit zum Unfall geführt hat. Zu die­sen Ent­schei­dungs­trä­gern kön­nen auch die Stadt- oder Gemein­de­rats­mit­glie­der zäh­len, die sich in einer Abstim­mung gegen not­wen­di­ge Gefahr­ab­wen­dungs­maß­nah­men am Natur­ba­de­platz einer Kom­mu­ne aus­ge­spro­chen haben.

Der straf­bar­keits­be­grün­den­de Vor­wurf gegen die Reprä­sen­tan­ten des Betrei­bers läuft auf ein Orga­ni­sa­ti­ons­de­fi­zit hin­aus, näm­lich, dass orga­ni­sa­to­risch nicht dafür Sor­ge getra­gen wur­de, dass die Not­wen­dig­keit der Gefahr­ab­wehr erkannt und die dafür erfor­der­li­chen Maß­nah­men auch getrof­fen wer­den. Je nach­dem, wie die Benut­zungs­re­geln für das Natur­bad aus­ge­stal­tet sind, kommt zusätz­lich eine Straf­ver­schär­fung in Betracht (Kör­per­ver­let­zung im Amt, § 340 StGB). Die zivil­recht­li­che und die straf­recht­li­che Ver­kehrs­si­che­rungs­pflicht unter­schei­den sich inhalt­lich nicht. Die Straf­ge­rich­te grei­fen viel­mehr auf die weit umfang­rei­che­re zivil­recht­li­che Recht­spre­chung zurück.

Streng genom­men liegt also in jedem begrün­de­ten zivil­recht­li­chen Haf­tungs­fall gleich­zei­tig auch das Risi­ko einer straf­recht­li­chen Ver­fol­gung. Der Grund dafür, dass es im Ver­gleich zu der Fül­le der von Zivil­ge­rich­ten aus­ge­ur­teil­ten Ver­kehrs­si­che­rungs­pflicht­ver­stö­ße aber ver­gleichs­wei­se nur sel­ten zu einer Straf­ver­fol­gung kommt, ist dar­in zu suchen, dass straf­recht­li­che Ermitt­lun­gen in der Regel nur dann auf­ge­nom­men wer­den, wenn die Ver­let­zungs­fol­gen schwer sind oder das Opfer sogar zu Tode kommt.

Vie­le Geschä­dig­te haben auch kein Inter­es­se an einer straf­recht­li­chen Ver­fol­gung, sodass eine Anzei­ge unter­bleibt. Die finan­zi­el­le Kom­pen­sa­ti­on reicht ihnen aus. Aller­dings kommt es durch­aus vor, dass Geschä­dig­te den Druck auf den Betrei­ber dadurch erhö­hen, dass sie neben der zivil­recht­li­chen Kla­ge auch eine Anzei­ge erstat­ten und noch dazu den Kon­takt zur Pres­se suchen. Damit kom­men wir zu einer nicht zu ver­nach­läs­si­gen­den nega­ti­ven Begleit­erschei­nung von (Bade) Unfäl­len, näm­lich, dass sich Betrei­ber und ihre Ent­schei­dungs­trä­ger dem pres­se­träch­ti­gen Vor­wurf aus­ge­setzt sehen, sie hät­ten erfor­der­li­che Gefahr­ab­wen­dungs­maß­nah­men nicht ergrif­fen, sei­en also „schuld“ am Unfall.

Repu­ta­ti­ons­scha­den als Begleit­erschei­nung des per­sön­li­chen Haf­tungs­ri­si­kos

Ver­un­fal­len Kin­der in Bade­ge­wäs­sern oder kom­men sie gar zu Tode, wird dar­über regel­mä­ßig in der Pres­se berich­tet. Denn sol­che Unfäl­le sind beson­ders tra­gisch und damit öffent­lich­keits­wirk­sam. Bei schwe­ren (Bade) Unfäl­len von Kin­dern stellt sich oft die Fra­ge, ob die Eltern ihren Auf­sichts­pflich­ten genügt haben. In jedem Fall aber wer­den sich ver­ant­wor­tungs­be­wuss­te Eltern immer fra­gen (müs­sen), ob sie alles getan haben, um ihr Kind vor Scha­den zu bewah­ren. Ein solch schwe­rer Schick­sals­schlag wird oft (auch) dadurch bewäl­tigt, dass eine mög­li­che eige­ne Schuld auf ande­re pro­ji­ziert oder über­haupt ein Schul­di­ger gesucht wird. Unfäl­le ohne einen Ver­ant­wort­li­chen, vor allem bei eige­ner Betrof­fen­heit, wer­den nicht (mehr) akzep­tiert.

Mensch­lich ist all das ver­ständ­lich und nach­voll­zieh­bar. Damit ein­her geht aller­dings ein Ver­fol­gungs­ei­fer, der sich pri­mär gegen die Reprä­sen­tan­ten des Betrei­bers rich­tet. Gibt es dann noch ver­meint­li­che Anhalts­punk­te dafür, dass die­se die gebo­te­nen Gefahr­ab­wen­dungs­maß­nah­men unter­las­sen haben könn­ten, ist die „Jagd eröff­net“.

Rechts­un­si­cher­heit als Kon­se­quenz der Rechts­ma­te­rie

Wann eine Pflicht zur Gefahr­ab­wen­dung besteht und wie sie zu erfül­len ist, ist aber alles ande­re als ein­fach zu beant­wor­ten. Dies liegt vor allem dar­an, dass sich die Ant­wort streng nach den Unfäl­len des Ein­zel­falls rich­tet. Die­se kön­nen dazu füh­ren, dass eine iden­ti­sche (!) Gefah­ren­quel­le unter gewis­sen Umstän­den nicht besei­tigt wer­den muss, in anders gela­ger­ten Fäl­len aber doch.

Vor allem Nicht­ju­ris­ten kri­ti­sie­ren des­halb, dass es im „Recht der Ver­kehrs­si­che­rungs­pflich­ten“ kei­ne kla­ren Vor­ga­ben gibt, was genau zu tun ist, damit die Kom­mu­nen ihre Pflicht zur Gefahr­ab­wen­dung erfül­len. Die schlech­te Nach­richt ist, dass es sol­che Vor­ga­ben jeden­falls im Fall von Natur­bä­dern nicht geben kann, da die Umstän­de an sol­chen Gewäs­ser­flä­chen so unter­schied­lich sind, dass pau­scha­le Hand­lungs­an­wei­sun­gen zwangs­läu­fig defi­zi­tär sein müs­sen. Sie wider­spre­chen außer­dem der kla­ren Vor­ga­be der höchst­rich­ter­li­chen Recht­spre­chung. Der Bun­des­ge­richts­hof for­dert in stän­di­ger Recht­spre­chung, dass sich das Ent­ste­hen, der Inhalt etc. der Ver­kehrs­si­che­rungs­pflich­ten nach den kon­kre­ten Umstän­den des Ein­zel­falls bemisst. Pau­scha­le Vor­ga­ben, z.B. in abs­trak­ten Richt­li­ni­en etc., kön­nen die indi­vi­du­el­len Umstän­de logi­scher­wei­se nicht berück­sich­ti­gen. Dies gilt auch und vor allem für Geset­ze oder Ver­ord­nun­gen.

Was also ist zu tun?

Die Ant­wort dar­auf ist eben­so schlicht wie im Detail kom­pli­ziert. Aus­gangs­punkt ist die Recht­spre­chung des Bun­des­ge­richts­hofs. Sie for­dert ein soge­nann­tes „ex-ante“ Urteil des Ver­kehrs­si­che­rungs­pflich­ti­gen. „Ex-ante“ bedeu­tet zunächst, dass der Ver­kehrs­si­che­rungs­pflich­ti­ge vor (!) dem Unfall beur­tei­len muss, ob und wel­che Maß­nah­men zu ergrei­fen sind. Zudem for­dert der BGH, dass das Urteil „sach­kun­dig“ sein muss. Das ist aber genau das Pro­blem. Denn aus den Vor­ga­ben, die der Bun­des­ge­richts­hof macht, kann der Nicht­ju­rist über­haupt nicht (der nicht spe­zia­li­sier­te Jurist erst dann, wenn er sich inten­siv in die Mate­rie ein­ge­le­sen hat) ablei­ten, was genau im Ein­zel­fall zu ver­an­las­sen ist. Damit, dass der Betrei­ber das erfor­der­li­che Urteil getrof­fen hat, ist es aller­dings auch nicht getan. Denn die Jus­tiz, die über die Straf­bar­keit urteilt, kann durch­aus zu einem abwei­chen­den „ex-ante“ Urteil kom­men (dazu Die­ter Hil­de­brandt: „Es hilft nichts, das Recht auf sei­ner Sei­te zu haben. Man muss auch mit der Jus­tiz rech­nen.“). In die­sen Fäl­len ist ent­schei­dend, dass der Betrei­ber doku­men­tiert hat, wie und vor allem auf­grund wel­cher recht­li­chen Erwä­gun­gen er zu „sei­nen“ Gefahr­ab­wen­dungs­maß­nah­men gekom­men ist. Ist das vom Betrei­ber getrof­fe­ne „ex-ante“ Urteil in den Augen des Straf­ge­richts bzw. der Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den zwar falsch, aber ver­tret­bar, ent­fällt der Straf­vor­wurf. Es ver­steht sich von selbst, dass nur ein ein­zel­fall­be­zo­ge­nes und fun­dier­tes „ex-ante“ Urteil des Betrei­bers eine sol­che Exkul­pa­ti­ons­wir­kung her­bei­füh­ren kann.

Ergeb­nis

Die gute Nach­richt zum Schluss lau­tet also, dass den Risi­ken einer Straf­ver­fol­gung (und der nega­ti­ven Bericht­erstat­tung in der Pres­se) durch­aus begeg­net wer­den kann. Die Betrei­ber müs­sen dazu aller­dings ein sach­kun­di­ges und ein­zel­fall­be­zo­ge­nes „ex-ante“ Urteil für ihr Natur­bad tref­fen und doku­men­tie­ren. Alter­na­tiv dazu kann das erfor­der­li­che „ex-ante“ Urteil und sei­ne Doku­men­ta­ti­on an einen exter­nen Drit­ten, der dar­auf spe­zia­li­siert ist, dele­giert wer­den.

[Dr. Georg Krafft]